Bildung
Definition
Basiswissen
In frühen Lexika noch eng an die Idee des Bildes oder der praktischen Formgebung gebunden[1] oder im naturwissenschaftlichen Sinn gebraucht[4][6], stand das Wort Bildung immer aber auch schon für die Ausprägung der im Menschen angelegten Fähigkeiten[3], speziell auch jener, die zu einer Teilnhame am geistigen Leben befähigen[5]. Wo die Bildung bewusst verschiedene Richtungen einschlagen kann[6], bewirkt sie eine soziale Differenzierung ↗
Fußnoten
- [1] 1793, Form oder Bild geben: "Bilden, verb. reg. act. 1. Einem Körper seine äußere Gestalt geben, von Bild, so fern dasselbe ehedem Gestalt bedeutete. 1) Eigentlich und in weiterer Bedeutung, mit Ertheilung der äußern Gestalt verfertigen. Einen Vogel aus Wachs bilden. Ist es nicht thöricht, von dem Schicksale die Unsterblichkeit eines Leibes zu fordern, der aus hinfälligem Staube gebildet ist? Dusch. Sie ist sehr schön gebildet, sie sieht schön aus. 2) Figürlich. (a) Den Fähigkeiten des Geistes und Willens die gehörige Richtung geben. Eines Herz, eines Gemüth bilden. Er trug mir auf, sie zu allen weiblichen Vollkommenheiten zu bilden, Weiße. Er hat sich nach lauter großen Mustern gebildet. (b) * Einbilden, vorstellen." In: Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 1. Leipzig 1793, S. 1015-1016. Online: http://www.zeno.org/nid/20000073512
- [2] Mehr als nur Wissen, aber auch das: "Bildung, im Allgemeinen, ist die Harmonie zwischen Geist und Gefühl im Worte, wie in der That. Gewöhnlich nimmt man Lebensart schon für Bildung, die doch nur ein Theil von dieser ist, die Beachtung nämlich des jederzeit Schicklichen und Nothwendigen. Auch Ausbildung ist nur ein Bestandtheil derselben; die Vervollkommnung seiner Kräfte in Bezug auf den gewählten Stand. Eine allgemeingiltige Bildung ist denkbar. Es ist gewöhnlich nichtssagend, wenn man Diesen oder Jenen einen gebildeten Menschen nennt. Mit der allgemeinen Bildung reichen wir im Leben nicht aus, wenn wir mit dem, was uns als moralischen Wesen überhaupt zukommt, nicht zugleich jene verbinden, die ich Ausbildung für den Beruf nannte." Es folgen dann Ratschläge für Frauen, die heute nur noch historisch interessant sein dürften. In: Damen Conversations Lexikon, Band 2. Leipzig 1834, S. 69-70. http://www.zeno.org/nid/20001716077
- [3] 1854, eine zu zögerliche Berufsorientierung wird beklagt: "Bildung bezeichnet im allgemeinen die Gestaltung eines Dinges nach bestimmten Umrissen; in geistiger Beziehung das Wissen, Empfinden, Wollen und Handeln eines Menschen, gemessen mit dem Maßstabe, den das Ideal eines Zeitalters in die Hand gibt. Die wahre Bildung müßte den Menschen in der vollen u. harmonischen Entfaltung aller seiner geistigen und gemüthlichen Kräfte darstellen u. wird daher nur annähernd auf dem christl. Wege erreicht. Neben dieser allgemein menschlichen B. geht die besondere, die Berufsbildung einher; unsere Zeit fehlt gewöhnlich dadurch, daß sie den Menschen zu spät für seinen Beruf heranbilden will und denselben zu lange nach andern Richtungen hin zu denken, zu fühlen und zu begehren veranlaßt, so daß er seinen Beruf als eine »verfluchte Schuldigkeit« oder als »Philisterei« anschaut u. je eher je lieber von demselben loskommen möchte. – Häufig versteht man auch unter B. die Kenntniß und Geübtheit der Formen, in welcher sich das vornehmere Leben bewegt." In: Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1854, Band 1, S. 541. Online: http://www.zeno.org/nid/20003235521
- [4] 1857, auch chemisch: "Bildung, 1) Gestaltung eines Gegenstandes rücksichtlich seiner äußeren Umrisse. 2) (Physiol.), Vereinigung chemischer Elemente od. Verbindungen zu Theilen eines lebenden Organismus, z.B. von Stärkemehl in den Pflanzen aus Kohlensäure u. Wasser, von Proteinsubstanzen aus Ammoniak, Humussäuren u. Schwefel. Das der B. zu organischen Körpern zu Grunde liegende Princip nannte man früher Bildungstrieb (Nisus formativus), nach Plato die Urkraft od. schaffende Idee, nach Stahl die Seele, auch Anima plastica od. Idea plastica s. seminalis. Blumenbach, welcher diese Lehre wieder einführte unterschied 3 Formen, in denen sich der B-strieb äußere: die Erzeugung, Ernährung u. Reproduction. Die bei der B. selbst beobachteten Normen, nach denen sich die einzelnen Individuen bildeten, galten als Bildungsgesetze, so das Gesetz einer bestimmten Ordnung u. Zweckmäßigkeit, der Symmetrie u. Periodicität etc. Sogenannte Mißbildungen sind die Resultate, einer Bildungshemmung, d.h. einer nur theilweisen Ausbildung der einzelnen Organe in Folge äußerer störender Einflüsse, u. mangelnder Weiterentwickelung. 3) (Min.), Anordnung unorganischer Moleküle zu einer von der chemischen Natur derselben abhängigen, aber nach bestimmten Gesetzen erzeugten Gestalt, s. Krystallbildung. 4) (Geol.), Ablagerung in Wasser suspendirter od. Erstarrung feuerflüssiger Massen zu sedimentären od. eruptiven Gesteinen. 5) (Formation), eine durch das Auftreten bestimmter Gesteine u. Organismen charakterisirte Epoche der Ablagerung von Gebirgsmassen, z.B. Tertiäre Bildung, s.u. Geologie. 6) (Chem.), das Zusammentreten von Elementen zu chemischen Verbindungen od. einfacher Verbindungen zu zusammengesetzteren, z.B. von Schwefelsäure aus Schwefel u. Sauerstoff, von Benzolsäurehydrat aus Bittermandelöl u. Sauerstoff, von Anisaldehyd durch Destillation von anissaurem Kalk mit ameisensaurem Kalk. 7) (Pädag. u. Gesch.), naturgemäße Entwickelung u. Vervollkommnung der gesammten Anlagen u. Kräfte des Menschen. Sie muß bes. in der Jugend bewirkt werden, weil da der Mensch am bildungsfähigsten ist, u. die Erreichung der höchsten B., harmonische Ausbildung des ganzen Menschen, ist Zweck der Erziehung. Die B. ist entweder körperlich od. geistig. Die geistige B. ist den drei Hauptvermögen der Seele gemäß: intellectuell, d.h. planmäßige Einwirkung auf die B. der Kräfte, die zum Erkenntnißvermögen gerechnet werden; ästhetisch, die das Gefühlsvermögen umfaßt; moralisch, die sich auf die Gesinnungen u. Triebe bezieht. In allen diesen Beziehungen ist sie entweder eine formale B., die anregt, übt u. leitet, od. eine materielle, die mittheilt, belehrt u. anweist. Die erste u. vielfachste B. als Grundlage aller späteren Unterweisung, heißt Elementar-B. Ist die B. verkehrt angewandt u. eine falsche geworden, so heißt sie Verbildung; überschreitet sie die Verhältnisse, Stellung u. Bestimmung des Menschen, u. ist sie dabei seicht u. flach, so heißt sie Überbildung. Anstalten, worin junge Leute entweder im Allgemeinen od. für ein besonderes Fach ihre B. erhalten, heißt eine Bildungsanstalt. Auch ganze Völker gehen aus dem Zustande reiner Natürlichkeit u. Rohheit nach u. nach durch verschiedene Bildungsstufen zur Sitten-, wissenschaftlichen, Kunst- u. moralischen B. (Humanität) über, worüber die Culturgeschichte (s.d.) Auskunft gibt." In: Pierer's Universal-Lexikon, Band 2. Altenburg 1857, S. 784. Online: http://www.zeno.org/nid/20009529764
- [5] 1904, Teilnahme am geistigen Leben: " Bildung hieß früher so viel wie äußere Gestaltung, seit JUSTUS MÖSER und GOETHE bedeutet das Wort besonders die geistige Kultur (vgl. EUCKEN, Terminol. S. 168). Nach LAZARUS besteht die Bildung eines Volkes in der Summe seines gesamten geistigen Lebens, seiner Bestrebungen in Kunst und Wissenschaft, seiner Sitten und Gebräuche (Leb. d. Seele I2, 6 f.). Die individuelle intellectuelle Bildung »besteht in der Aneignung desjenigen geistigen [155] Inhalts, welcher die Gesamtheit des geistigen Lebens der Menschheit und ihrer Interessen ausmacht« (l.c. S. 30). PAULSEN definiert: »Bildung ist die zu vollendeter Entwicklung gelangte Gestalt des inneren Menschen. Sie erscheint in der durch Unterricht und Übung erworbenen Fähigkeit zur lebendigen Teilnahme an dem geistigen Leben zunächst eines Volkes, zuhöchst der Menschheit« (Syst. d. Eth. I5, 64). P. VOLKMANN: »Bildung ist die Fähigkeit, aus dem an und für sich toten Wissensstoff Werke des Lebens und des Geistes gestalten zu können« (Erk. Gr. d. Nat. S. 16 f.). Vgl. PFLAUM, Was ist Bildung? Zeitschr. f. Philos. u. Pädagog. 1899." In: Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 1. Berlin 1904, S. 155-156. Online: http://www.zeno.org/nid/20001783041
- [6] 1905, auch soziale Differenzierung: "Bildung, dem ältern Sprachgebrauch nur, wie noch immer der Naturwissenschaft, in der eigentlichen Bedeutung von (körperlicher) Gestaltung oder Gestalt (Bild, Gebilde) geläufig, wird in der neuern Sprachweise (seit I. Möser) vorwiegend im übertragenen, geistigen (pädagogischen) Sinne gebraucht für die Tätigkeit des Bildens (Unterrichtens, Erziehens) und zumeist für das Ergebnis dieser Tätigkeit, den geistigen Zustand. Daher unterscheidet man materiale B. (Bereicherung oder Reichtum an Kenntnissen) und formale B. (Befähigung zum Auffassen, Beurteilen, Darstellen) und stellt die allgemeine B. der Fachbildung, die harmonische (allseitige) der einseitigen, die gesunde B. der Verbildung, die abgeschlossene der Halbbildung, die B. des Gemüts der des Verstandes gegenüber. Auch spricht man von verschiedenen Bildungsidealen und demnach von christlicher, patriotischer, nationaler, humaner, humanistischer oder gelehrter, realistischer, ästhetischer B. Nach dem Bildungsgang endlich unterscheiden sich akademische und seminarische, Gymnasial- und Realschulbildung etc. Daher: Bildungsanstalten, Schulen; Bildungs- (Volksbildungs-)vereine, Gesellschaften zur Verbreitung nützlicher und erfreulicher Kenntnisse (s. den besondern Artikel S. 873)." In: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1905, S. 872. Online: http://www.zeno.org/nid/20006328997
- [7] 1907, auch Moral und Geistigkeit: "Bildung bezeichnete bis auf Just. Möser (1720-1794) nur die körperliche Gestalt, jetzt aber bezeichnet es die Gestaltung des geistigen Lebens, und zwar zunächst im Gegensatz zur Natur, zur Roheit und Naivität. Sodann liegt darin der Begriff einer gewissen Abgeschlossenheit, Vollkommenheit und Mustergültigkeit des menschlichen Wesens. Ein gebildeter Arzt, Jurist, Lehrer usf. muß seine Wissenschaft beherrschen; aber er darf sich nicht darauf beschränken. Ein wahrhaft Gebildeter besitzt nicht nur gründliche Fachkenntnis, sondern hat auch Sinn und Verständnis für alle Gebiete menschlichen Strebens, für Wissenschaft und Kunst, für Religion und Politik, steht also mitten in den Kulturfragen seiner Zeit. Auch ohne jede Fachkenntnis kann jemand gebildet sein, der für alle menschlichen Interessen Sinn hat. Die höchste Stufe der Bildung ist demnach die Humanität, welche zum Grundsatz den aus Terentius entnommenen Ciceronianischen Satz hat: homo sum, nil humani a me alienum puto. Diese umfaßt nicht bloß die Bildung des Verstandes, sondern auch des Willens und Gemütes. Nicht allein eine Summe von Kenntnissen macht den Gebildeten, sondern moralische, ästhetische, philosophische und religiöse Bildung gehört auch dazu. Das ist die allgemeine Bildung, die durch die Erziehung angebahnt, aber erst durch ein ganzes Leben erworben wird. Vgl. K. A. Schmid, Geschichte der Erziehung vom Anfang an bis auf unsere Zeit, 1884 ff. Fr. Paulsen, Geschichte des gelehrten Unterrichts in Deutschland. 2. Aufl. 1897." In: Kirchner, Friedrich / Michaëlis, Carl: Wörterbuch der Philosophischen Grundbegriffe. Leipzig 1907, S. 104. Online: http://www.zeno.org/nid/20003579425
- [8] 1999, ganzheitlich: "Im weitesten Sinn die Entfaltung der intellektuellen, sittlichen, körperlichen und praktischen Anlagen des Menschen zu einer individuellen Ganzheit" In: Metzeler Philosophie Lexikon. Herausgegeben von Peter Prechtl und Franz-Peter Burkard. 2. überarbeitete Auflage. Stuttgart, Weimar, 1999. ISBN: 3-476-01679-X. Dort die Seite 80.