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Selbstwirksamkeit


Didaktik


Basiswissen


Als Selbstwirksameit bezeichnet man in der Psychologie die Fähigkeit einer Person, auch in schwierigen Situationen den Gang der Dinge selbst mitbeeinflussen zu können. Die Idee einer Selbstwirksamkeit ist unter anderem bedeutsam für die Politk, die Didaktik, die Medizin und die Philosophie.

Selbstwirksamkeit in der Medizin


Für die enge Verbindung zwischen dem Gefühl, selbst an seinem Schicksal etwas ändern zu können und der eigenen Gesundheit spricht ein drastisches Experiment mit Ratten[3]: man hat Ratten in einem Raum eingesperrt, in dem sie wiederholt Stromstößen vom Boden her ausgesetzt waren. Dabei gab es zwei Varianten des Versuches. Einmal gab es in dem Raum einen Schalter, mit dem die Ratten die Stromstöße ausschalten konnten, in der anderen Variante gab es diesen Schalter nicht. Die Stromströße wurden aber so verabreicht, dass Ratten in beiden Varianten am Ende gleich oft Stromstöße erhalten hatten. Das Betätigen des Schalters hat also nicht die Anzahl oder Stärke der Stromstöße wirksam verhindert. Dennoch blieben Ratten in der Variante mit Schalter gesund, während die Ratten in der Variante ohne Schalter bald typische Zeichen einer Depression zeigten. Selbst das trügerische Gefühl, etwas an seinem Schicksal bewirken zu können, scheint der eigenen Gesundheit zu helfen. Dieser Befund zeigt sich auch an medizinischen Studien mit Menschen[4]. Ein Fachgebiet, das sich mit der engen Verknüpfung von Psyche, Immunsystem und Gesundheit beschäftigt ist die sogenannte Psychoneuroimmunologie ↗

Selbstwirksamkeit in der Didaktik


Was Selbstwirksamkeit ist, erfährt man an ehesten wenn sie ausbleit. In unserer Lernwerkstatt in Aachen lernen wir seit dem Jahr 2010 Mathematik, Physik und Chemie zusammen mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Vor allem - aber nicht nur - im Zusammenhang mit einer sogenanten Dyskalkulie (Rechenschwäche) berichten uns Betroffene immer wieder, dass sie so viel lernen können wie sie wollen, doch am Ende bleiben die Schulnoten schlecht. Während manche Kinder das kleine Einmaleins nach wenigen Wochen sicher können, lernen andere fleißig viele Monate und vergessen doch alles nach einiger Zeit wieder. Nach einigen Monaten oder sogar Jahren stellt sich dann oft eine dauerhafte Resignation, Ohnmachtsgefühle, Wut oder auch Selbstablehnung ein. Anders liegt die Sache, wenn jemand tatsächlich eine ausreichend gute Selbstwirksamkeit hat, diese aber nicht erfährt. Siehe zu diesem Bespiel auch den Artikel zum Hochstapler-Syndrom ↗

Selbstwirksamkeit in der Politik


„Die da oben machen doch eh was sie wollen“, oder „meine Stimme zählt ja ohnehin nicht“: mit dieser Formel können Parteien weltweit immer wieder Erfolge erzielen. Dass das Gefühl, selbst an der Politik etwas ändern zu können einen Einfluss auf die Anfälligkeit für Populismus hat, wurde durch Studien bestätigt[5]. In den Politikwissenschaften ist die Idee der Selbstwirksamkeit eng mit dem Begriff der Partizipation, auf Deutsch so viel Teilhabe verbunden. Die Möglichkeit zur Selbstwirksamkeit ist auch ein grundlegender Anspruch einer Demokratie ↗

Selbstwirksamkeit in der Theologie


Unter anderem die christliche Theologie betont, dass der Mensch sein Heil in der Ewigkeit nach dem irdischen Tod selbst in der Hand habe. Er könne sich für oder gegen die Sünde entscheiden, für oder gegen Gott. Der Vatikan schreibt dazu unmissverständlich: "Gott hat den Menschen als vernunftbegabtes Wesen erschaffen und ihm die Würde einer Person verliehen, die aus eigenem Antrieb handelt und über ihre Handlungen Herr ist.[6]" Diesem Gedanken gegenübergestellt ist die Vorstellung, dass bedingt durch Gottes Allwissenheit Gott schon immer wusste was auch in Zukunft geschehen wird. Damit ist aber auch jede Entscheidung der Menschen vorherbestimmt. Solche Gedanken finden sich in der christlichen Theologie unter dem Stichwort der Prädestinationslehre, im Islam unter dem Stichwort Kismet. Die Fähigkeit des Menschen sich auch gegen das Gute entscheiden zu können ist aus Sicht der Theologie letztendlich auch eine der Gründe für das Böse ↗

Selbstwirksamkeit in der Geschichte


Als im Jahr 1558 die junge Elizabeth von England zur Königin Elizabeth I gekrönt wurde, gab sie dem Schicksal ihres Landes eine entscheidende Wendung: anders als ihre Vorgängerin und Halbschwester Maria I, löste sie sich vom katholischen Spanien und begab England in einen lange anhaltenden Wettstreit zum spanisch-habsburgischen Weltreich. Sie begünstige das englische Piratentum in der Karibik und, so könnte man argumentieren, schuf das Fundament für das spätere britische Kolonialreich. Entscheidungen, die sie ganz persönlich traf, prägten somit die Geschichte der Welt nachhaltig auf Jahrhunderte. Hätte Elizabeth sich hingegen weiter eng an das spanische Königshaus gebunden, wie ihre Vorgängerin, hätte England vielleicht Spanien den Vortritt in Nordamerika gelassen und nicht Englisch sondern Spanisch wäre heute die vorherrschende Weltsprache. Die Idee, dass es kurze aber möglicherweise einflussreiche Geschehnisse in der Geschichte gibt, verdichtete der Schriftsteller Stefan Zweig zu seiner Idee de Sternstunden der Menschheit ↗

Selbstwirksamkeit im Moral-Korsett


Der Philosph Immanuel Kant (1724 bis 1804) wird oft mit seinem kategorischen Imperativ zitiert. Will ein Mensch sittlich handeln, so bleibt ihm nur eine Wahl: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.[9]“ Das lässt oft wenig Spielraum, etwa für egoistisches Verhalten. Damit bleibt dem Menschen ähnlich wie im theologischen Denken zwar eine Wahl zwischen richtig und falsch, aber die Wahl ist eben im Voraus in diese zwei Kategorien unterteilt. Die Logik wird hier zur Zwangsjacke für die eigene Entscheidung. Demgegenüber seht die Idee des Existenzialismus, dass es kein vorgegebenes Gut und Schlecht gäbe, sondern der Mensch erst selbst das in die Welt setze. Das Problem, dass man zumindest auf naturwissenschaftlichem Wege kaum Gut und Schlecht unterscheiden kann behandelt auch der Artikel naturalistischer Fehlschluss ↗

Selbstwirksamkeit mit geringem Anspruch


Das Wort Selbstwirksamkeit sagt noch nichts über den Grad dieser geforderten Wirksamkeit. Ist man bereits selbstwirksam, wenn etwa ein Navigationsgerät an einem Fahrrad einem zwei Routen von insgesamt 10 möglichen Routen vorschlägt? Oder ist man erst dann befriediegend selbstwirksam, wenn man selbst einen Einblick in alle Handlungsmöglichkeiten hat? Ist man selbstwirksam, wenn Ärzte eine Behandlung vorschlagen, zu denen man weder alle Alternativen kennt noch die Wirkung oder Erfolgschancen eigenständig abschätzen kann[10]? Ist man selbstwirksam, wenn man nur aufgrund begrenzter Kenntnisse entscheidet, ohne die Tragweite überblicken zu wollen oder zu können? Wo diese Frage politisch oder gesellschaftlich bedeutsam ist, spricht man bei einer entsprechenden Selbstgenügsamkeit auch von Provinzialismus oder Kleinbürglichkeit. Verallgemeinert betrachtet wird dieser Gedanke hier unter dem Stichwort Lokaloid ↗

Selbstwirksamkeit mit unterschiedlicher Reichweite


Kennst du, Leser dieser Zeilen hier, die Träume und Wünsche deiner Großeltern? Kenntst du überhaupt ihre Namen, wo sie zur Schule gegangen sind nd worauf im Leben sie stolz waren und was sie bewirken wollten? Falls nein, dann gehe eine weitere Generation zurück in die Vergangenheit. Es wirkt ernüchternd, wie wenig von den Lebensregungen dieser uns verwandschaftlich und zeitlich so nahe stehenden Menschen heute noch übrig geblieben ist. Im schlimmsten Fall so gut wie nichts. Und doch haben sich manche von ihnen vielleicht politisch, kirchlich oder sonstwie engagiert, um eine größere Wirkung im Leben zu hinterlassen. Die Idee, dass ihre Mühen letztendlich verpufft sind und die Geschichte ihren Gang aus eigener Trägheit heraus weiterging ist eine Möglichkeit. Eine andere Möglichkeit ist aber, dass unsere Vorfahren mit kleinen Entscheidungen den Gang der Geschichte auch auf lange Zeit verändernderten. Hier gibt es das bekannte Denkbild vom Schmetterlingseffekt oder von der sogenannten Separatrix aus der Systemtheorie. Lies mehr zu diesem Gedanken unter dem Stichwort Weichenereignis ↗

Selbstwirksamkeit mit Hebelwirkung


Der Mensch ist als soziales Wesen geboren. Nur wenige Individuen leben auf Dauer gerne in völliger Abgeschiedenheit zu anderen Menschen. Im Gegenteil: die meisten Menschen suchen die Zugehörigkeit zu einer Gruppe und deren Akzeptanz. Das aber engt die Selbstwirksamkeit erheblich ein: der Druck der Gruppe kann den eigenen Handlungsspielraum stark einengen, die Drohung eines Ausschlusses ist dabei ein wirksames Druckmittel. Die Selbstwirksamkeit wird im extremsten Fall auf die freiwilige oder erzwungene Unterordnung unter die Gruppe herabgesetzt. Umgekehrt kann eine Gruppe aber auch so manipuliert werden, dass sie den eigenen Willen annimmt und in seiner Wirkung verstärkt. Dann wäre die Gruppe sozusagen ein verstärkender Hebel für die Selbstwirksamkeit eine erfolgreichen Person. Eine Möglichkeit, diese Hebelwirkung durch die Gruppe für sich zu nutzen ist die Demagogie ↗

Selbstwirksamkeit und Freier Wille


Grundlegend ist die Frage, ob der Mensch überhaupt einen Einfluss auf sein eigenen Erleben, Verhalten und die Umwelt hat. Hier stehen sich zwei extreme Positionen gegenüber: die sogenannten Materialisten behaupten, dass alles in der Welt nur eine Art physikalische Bewegung von Atomen ist. Ein Freier Wille und damit auch das Gefühl von Selbstwirksamkeit sind demnach nur eine Illusion. Die Frage wurde unter anderem unter dem Stichwort Clinamen bereits in der Antike behandelt[8]. Auf der anderen Seite stehen die sogenannten Idealisten, die dem menschlichen Willen ein hohes Maß an Freiheit und Wirksamkeit gewähren. Lies mehr zu diesem Gedanken unter Freier Wille ↗

Selbstwirksamkeit als ad-hoc Selbstversuch


Der Pionier der modernen Psychologie, Wiliam James (1842 bis 1910) beschrieb die mögliche Wirkung eines Freien Willens auf eine leicht nachvollziehbare Weise: im Kopf enstehen zunächst mehrere Bilder oder Vorstellungen. Von diesen Wissen wir nicht woher sie kommen, auch können wir ihre Entstehung nicht künstlich herbeiführen. Wenn aber eines oder mehrere Bilder im Kopf sind, können wir versuchen ein Bild längere Zeit festzuhalten. Und falls in unserem Kopf mehrere konkurrierende Varianten für eine Entscheidung liegen, können wir eine zur Verwirklichung drängen. Als Selbstversuch kann man einmal dem inneren Strom der Assoziationen zu folgen und dann irgendeine Idee oder irgendein Bild, das gerade aufgetaucht ist, möglichst lange festzuhalten. Das ist schwerer als man denkt. Die Schwierigkeit, einen Denkinhalt gegen heraufkommende andere zu verteidigen wirft die Frage auf, inwiefern man überhaupt in seinem eigenen Kopf Chef ist. Siehe auch Zwei-Stufen-Modell (Freier Wille) ↗

Selbstwirksamkeit als ein Urgrund der Physik?


Als Spekulation wird auf diesen Seiten hier gefragt, ob die Ausprägung der konkreten physikalischen Gesetze in unserem Universum letztendlich dazu dient, dass verschiedene Wesen in ihm so mit Selbstwirksamkeit ausgestattet werden können, dass die Wesen zusammen dennoch eine sinnvolle gemeinsame Welt erschaffen können. Siehe dazu auch kollaborative Physik ↗

Vier notwendige Voraussetzung für eine Selbstwirksamkeit



Gegenpositionen zur Selbstwirksamkeit


Durch alle hier kurz angedeuteten Themengebiet zieht sich wie zwei rote Fäden die skeptische Fragen, ob a) der Mensch denn überhaupt selbst entscheiden kann was er will, und ob er b) die Macht hat, seine freie Entscheidung in der Welt auch umzusetzen. Hier sind abschließend und beispielhaft einige Ideen (zum Teil überspitzt) aufgelistet, die eine Selbstwirksamkeit des Menschen weitgehend oder sogar ganz verneinen.


Fußnoten