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Provinzialismus


Geisteshaltung


Definition


Als Provinzizalismus bezeichnet man eine Lebenseinstellung, die die Gepflogenheiten der eng umgrenzten eigenen Heimat als einzig richtig betrachtet. Begriffe mit ähnlicher Bedeutung sind Kirchturmpolitik und kleinbürgerlich. Das ist hier kurz erläutert.

Kirchturmpolitik als Beispiel


Die folgende Episode stammt aus der persönlichen Erzählung einer Frau, Jahrgang 1938, aus Dörnigheim am Main. Das früher kleine Städtchen lag direkt am Fluss Main, gegenüber der Orte Mühlheim und Dietesheim. Die evangelische Kirch stand sehr nah am Flussufer und hatte große weithin sichtbare Zeigeruhren am Kirchturm angebraucht. Doch Richtung Fluss, nur sichtbare für die Bewohner der anderen Flussseite, wurde kein Ziffernblatt angebracht: die können ihre Uhren selber bezahlen.

Provinzialismus als Abwertung


Provinzielle Menschen - so der Vorwurf - halten ihre eigene oft dörfliche oder kleinstädtische Umgebung für das Maß aller Dinge. Sie wollen nicht unbedingt andere Menschen damit missionieren, aber im Umkehrschluss auch selbst nicht missioniert werden. Traditionen wie Schützenvereine, Kneipen, Dialekte und früher auch die Kleidung und Bauweisen von Häusern waren Teil der eigenen Identität. Fremde - Zugezogene - wurden argwöhnisch betrachtet und nur in dem Maß angenommen, in dem sie sich anpassten.

Provinzialismus als Aufwertung


Zwar wird das Wort Provinzialismus in einem meist abwertenden Sinn gebraucht, doch neutral betrachtet lassen sich damit auch positive Vorstellungen verbinden:


Abgrenzung zu kleinbürgerlich


Während Provinzialismus meist mit einem eher ländlichen Lebensraum einhergeht, verbindet sich mit dem Kleinbürgertum ein eher mäßig wohlhabender städtischer Stand. Die Werte und Interessen des Kleinbürgers hingen weniger eng an seiner Heimat im geographischen Sinn als vielmehr den eigenen und familiären Lebenszielen, die oft auf eine bescheidene wirtschaftliche Sicherheit abzielten. Siehe auch Kleinbürger ↗

Was ist soziointegrative Degeneration?


Soziointegrative Degeneration ist ein soziologisches Konzept aus dem Jahr 1983: während eine Gesellschaft als Ganzes immer leistungsfähiger und komplexer werden kann, degenerieren die Interessen und Fähigkeiten der Individuen immer stärker. Das Individuum integriert sich in das neue Übergebilde und gerade dadurch verliert es an Autonomie und Fähigkeiten. Provinzialismus kann damit Ausdruck einer solchen Degeneration sein. Lies mehr dazu unter soziointegrative Degeneration (Soziologie) ↗

Provinzialismus und eine physikalische Spekulation


Physikalische Wirkungen breiten sich meist nur langsam im Raum aus, vor allem wo Materie in dichter Form vorkommt, und wenn Wechselwirkungen zwischen den Objekten möglich sind, ist die Ausbreitung von physikalischen Effekten oft deutlich langsamer. Ein gutes Beispiel ist die Lichtgeschwindigkeit, die im Vakuum rund 300 Tausend Kilometer pro Sekunde beträgt, in Glas aber „nur“ rund 260 Tausend Kilometer in jeder Sekunde. Dazu begleitend scheint das menschliche Bewusstsein seinen Sitz eng begrenzt im menschlichen Gehirn zu haben. Diese zwei zunächst zusammenhangslosen Beobachtungen sind vielleicht Ausdruck einer in der Welt angelegten, sinnvollen Beschränkung: indem physikalische Wirkungen und auch das Bewusstsein beide räumlich begrenzt werden entsteht die Möglichkeit einer für mehrere Wesen gleichzeitig verständlichen Welt. Langsamkeit und Lokalismus bieten im Umkehrschluss Zuverlässigkeit und Berechenbarkeit. Siehe zu diesem Gedanken die Spekulation über eine kollaborative Physik ↗