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Neusprech


Linguistik


Basiswissen


Eine minimalistische Sprache erlaubt auch nur ein minimalistisches Denken: durch die gezielte Auslöschung von Worten kann eine Diktatur das Denken der Menschen einengen und in eine Richtung bringen. Das ist die Kernidee der hypothetischen Sprache Neusprech aus George Orwells dystopischem Roman „1984“. Die Sprache Neusprech ist hier kurz vorgestellt.

Eine Diktatur als fiktiver Hintergrund


Die Erde ist aufgeteilt in drei große Machtblöcke. Diese stehen in einem fein austarierten Dauerkriegszustand miteinander. Nach innen sind die Machtblöcke brutale Diktaturen. Eine kleine Elite hält die Masse der Bevölkerng in ständiger Unterwerfung und Ahnungslosigkeit. Eines der wirksamsten Herrschaftsinstrumente ist die gezielte Reduzierung der Sprache auf Worte und Sätze, die ein abweichendes Denken im reinen Wortsinn undenkbar machen. Diese Kunssprache heißt im englischen Original Newspeak, auf Deutsche Neusprech.

Neusprech in der Originaldefinition nach George Orwell


Der englische Schriftsteller George Orwell stellte das Konzept von Neusprech ausführlich im dritten Kapitel seines Romans 1984 vor. Dort lässt er einen fiktiven und staatstreuen Staatsbediensteten die Vorzüge von Neusprech erläutern.

Abschaffung überflüssiger Worte


In dem folgenden Zitat beschreibt George Orwell selbst, wie er sich sein Neusprech vorstellte: 'It's a beautiful thing, the destruction of words. Of course the great wastage is in the verbs and adjectives, but there are hundreds of nouns that can be got rid of as well. It isn't only the synonyms; there are also the antonyms. After all, what justification is there for a word which is simply the opposite of some other word? A word contains its opposite in itself. Take "good", for instance. If you have a word like "good", what need is there for a word like "bad"? "Ungood" will do just as well - better, because it's an exact opposite, which the other is not. Or again, if you want a stronger version of "good", what sense is there in having a whole string of vague useless words like "excellent" and "splendid" and all the rest of them? "Plusgood" covers the meaning, or "doubleplusgood" if you want something stronger still. Of course we use those forms already. But in the final version of Newspeak there'll be nothing else. In the end the whole notion of goodness and badness will be covered by only six words -- in reality, only one word. Don't you see the beauty of that, Winston? It was B.B.'s idea originally, of course,' he added as an afterthought.[1, Kapitel 3]

Einengung des Denkens


Das abweichende, oppositionelle Gedanken überhaupt gar nicht mehr denkbar sind, ist das eigentliche Ziel von Neusprech. Lesen wir wieder Orwells Originalgedanken: 'Don't you see that the whole aim of Newspeak is to narrow the range of thought? In the end we shall make thoughtcrime literally impossible, because there will be no words in which to express it. Every concept that can ever be needed, will be expressed by exactly one word, with its meaning rigidly defined and all its subsidiary meanings rubbed out and forgotten. Already, in the Eleventh Edition, we're not far from that point. But the process will still be continuing long after you and I are dead. Every year fewer and fewer words, and the range of consciousness always a little smaller. Even now, of course, there's no reason or excuse for committing thoughtcrime. It's merely a question of self-discipline, reality-control. But in the end there won't be any need even for that. The Revolution will be complete when the language is perfect. Newspeak is Ingsoc and Ingsoc is Newspeak,' he added with a sort of mystical satisfaction. 'Has it ever occurred to you, Winston, that by the year 2050, at the very latest, not a single human being will be alive who could understand such a conversation as we are having now?'[1, Kapitel 3]

Quaksprech als Endziel


Nach Orwell ist das Ziel von Neusprech erreicht, wenn die Menschen nur noch rein reflexhaft sprechen ohne dabei aktiv zu denken. In den Worten Orwells: 'There is a word in Newspeak,' said Syme, 'I don't know whether you know it: duckspeak, to quack like a duck. It is one of those interesting words that have two contradictory meanings. Applied to an opponent, it is abuse, applied to someone you agree with, it is praise.'[1, Kapitel 3]

Sprachlenkung als Instrument der Manipulation


Der Sprachwissenschaftler Peter Schlobinski zitiert Orwells Neusprech als ein Beispiel für Sprachlenkung: "Unter Sprachlenkung versteht man das Ziel, Definitionen, Bedeutungen und Wertungen in der öffentlichen und letztlich in der Allgemeinsprache so durchzusetzen, dass sie den eigenen Interessen, der eigenen Ideologie dienen."[4, Seite 98]. Als Beispiel beschreibt Schlobinski die Verwendung des Wortes Flüchtlingswelle. Mit einer Welle, so Schlobinksi, verbindet viele Menschen etwas das schwer zu kontrollieren ist und eine große Zerstörungskraft hat, eine Naturgewalt. In der Übertragung auf Menschen erzeugt dieser Begriff dann Ängste überrollt zu werden. Assoziativ eng verbunden sind Worte wie massiv, riesig, bedrohlich, anhalten, gewaltig oder fürchten. Eine Steigerung der Wirkung bieten dann Worte wie Flüchtlingsflut oder Flüchtlingstsunami. Bereits George Orwell hat beschrieben, wie sich Gruppen freiwillig eine klar gerichtete Sprache vorschreiben, die oft mehr wertend als beschreibend ist. Siehe dazu auch Gruppendenk ↗

Die deutsche NS-Diktatur als historische Vorlage


In seinem Tagebucheintrag vom 12. Februar 1942 schreibt der deutsche Propagandaminister Joseph Göbbels: „Ich veranlasse, daß von unserem Ministerium Örterbücher für die besetzten Gebiete vorbereitet werden, in denen die deutsche Sprache gelehrt werden soll, die aber vor allem eine Terminologie pflegen, die unserem modernen Staatsdenken entspricht. Es werden dort vor allem Ausdrücke übersetzt, die aus unserer politischen Dogmatik stammen. Das ist eine indirekte Propaganda, von der ich mir auf die Dauer einiges verspreche.“[4, Seite 99]

Die Sprache der Werbung als freiwilliges Neusprech


"Unkaputtbare Flaschen", "Haribo macht Kinder froh" oder "Megaweiß": die Sprache der Werbung zielt direkt auf unbewusste Gefühle ab. Sie soll das bewusste, oft rationale Denken umgehen und letztendlich zu einem Kaufakt verleiten. Zur Werbesprache gibt es eine breite Literatur, die im Kern auf eine Essenz der Werbesprache hinweis: Kürze. Werbesprache muss sofort wirken, sie muss dazu kurz sein, sie muss für jedermann verständlich und einprägsam sein. Siehe auch Werbung ↗

Die Sprache der Bilder


Als Orwell sei Buch 1984 schrieb, kurz nach dem zweiten Weltkrieg, nutzten die Massenmedien weitgehend nur Sprache. Man denke an Zeitungen, Bücher, Radio, Reden auf Großveranstaltungen. Filme oder auch nur Bilder, was nur sehr viel aufwändiger massenhaft zu erzeugen und zu verteilen. Spätestens aber 1978, mit der Allgegenwart des Fernsehers in jedem Kinderzimmer, sahen andere Autoren, wie auch die Bildersprache zur Manipulation eingesetzt werden kann[7].

Fußnoten