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Leib-Seele-Problem


Theologie


Basiswissen


Leib steht hier für einen materiell (res extensa) gedachten Körper, insbesondere von Menschen. Seele steht hier allgemein für psychische, geistartige Phänomene. Das Problem behandelt ähnlich Fragen wie das Geist-Körper-Problem, bezieht aber oft stärker auch theologische Aspekte mit ein. Das ist hier kurz erklärt.

Leib und Seele aus theologischer Sicht


In der christlichen Theologie[1] werden Leib und Seele unterschieden. Der Leib, auch das Leibliche genannt, deckt sich dabei teilweise mit physikalischen Vorstellungen von Materie und ist der irdischen Welt verhaftet. Die Seele ist von Gott dem Leib eingegeben (Beseelung). Am Ende des Lebens verlässt die Seele den Leib wieder, sie fährt aus ihm aus und kann auch ohne das Irdische weiter existieren. In solch einer Vorstellung von Seele sind Konzepte von Persönlichkeit, Gottesbezug, Leben nach dem Tod[3] oder Gewissen oft als notwendige Teile enthalten. Siehe auch Seele ↗

Was ist das Leib-Seele-Problem?


Werden Leib und Seele beide als eine Substanz im philosophischen Sinne verstanden, dann sind sie unvergänglich und für sich alleine fähig zum Sein, zur Existenz. Diese Vorstellung wirft eine Reihe von Fragen auf, die man im Zusammenhang als Leib-Seele-Problem bezeichnet. Der gemeinsame Punkt vieler dieser Probleme ist, dass für zwei verschieden gedachte Substanzen, mit unterschiedlichen Eigenschaften, die Art und Weise ihres Zusammenwirkens gedacht werden muss.

1. Problem: der Moment der Beseelung eines Einzelmenschen


Wenn die Seele in eine Körper einfährt oder von (einem) Gott einem Leib eingegeben wird, so stellt sich die Frage zu welchem Zeitpunkt das geschehen soll. Ethisch und juristisch wird dieser Aspekt zum Beispiel immer dann wichtig, wenn über den erlaubten Zeitraum einer Abtreibung entschieden werden soll. Da es keine Messverfahren gibt, um die Anwesenheit einer Seele in einem Leib zu bestimmen muss man auf Definitionen oder Vermutungen zurückgreifen. Beseelt Gott einen Embryo bereits im Stadium weniger Zellen (der klassische "Zellhaufen")? Oder wartet Gott mit der Beseelung, bis der heranwachsende Leib erkennbar menschliche Züge hat? Die Entwicklung eines einzelnen Wesens nennt man seine Ontogenese [Seinswerdung] ↗

2. Problem: der Moment der Beseelung der Menschheit


So wie der menschliche Embryo ohne erkennbare Sprünge langsam reifend heranwächst, so fließend ist der Mensch auch in seiner jahrmillionen langen Entstehungsgeschichte aus seinen maushaften Vorfahren entstanden. Geht man davon aus, dass der Mensch das einzige Wesen mit einer Seele ist oder doch zumindest eine qualitativ andere Art von Seele hat als Tiere, dann stellt sich die Frage: ab welchem Entwicklungsstand im langsamen Werden der Menschheit hat Gott erstmals einen unserer Vorfahren beseelt? War es der noch sehr affenähnliche Australophitecus mit nur einem Drittel des Hirnvolumens heutiger Menschen? Oder geschah das erst im Moment als der Mensch im größeren Stil Werkzeuge benutzte (homo habilis). Oder ging die erste Beseelung eines Menschen mit dem Aufkeimen erster religiöse Ahnungen einher (Homo sapiens, Homo neandertalensis?). Wie bei der Frage nach der Beseelung eines einzelnen Menschen ist der Kern des Problems auch hier der langsame und fließende Übergang aller Merkmale während der Menschwerdung ↗

3. Problem: die Seele der Tiere


Gesteht man auch Tieren (und vielleicht sogar Pflanzen?) eine Seele zu, so kann man die Theologie fragen, ob diese Seelen vom Wesen her verschieden von den Seelen der Menschen sind. Der Bibel zufolge schuf Gott zwar den Menschen in seinem Ebenbild, nicht aber die Tiere. Unterscheidungen mit moralischer Tragweite die sich an verschiedenen biologischen Arten festmachen bezeichnet man in der Philosophie als Speziesismus ↗

4. Problem: die Seele als Herrin im Körper?


In klassisch christlich-theologischer Sicht ist es Gott, der einem Lebewesen die Seele einhaucht. Typischerweise ist es ein menschlicher Embryo, der beseelt wird. Was heißt das für die Atome und Moleküle des Leibes des Embryos? Folgen die Atome nach der Beseelung anderer Naturgesetzen als vor der Beseelung? Kann die Seele die Atome des Embryos beeinflussen? Falls ja, müsste die Seele irgendwie ursächlich den Gang der atomaren Welt beeinflussen können. Gesteht man der Seele einen Willen zu, der auch unabhängig vom Körper sein kann, so muss beantwortet werden, wie dieser Wille nach der Beseelung des Leibes auf den Leib einwirken kann. Die damit angerissenen Fragen behandelt man unter dem Stichwort Freier Wille ↗

5. Problem: die Seele ohne Körper


Da der Anfang der Seele in der christlichen Theologie eindeutig als Akt der Erschaffung durch Gott mit einer gleichzeitigen Verbindung dieser Seele mit ihrem Leib beschrieben wird, stellt sich die Frage nach der Seele vor ihrer Verbindung mit ihrem Leib nicht. Es stellt sich aber die Frage, in welchem Zustand die Seele nach dem Verlassen des Leibes, also nach dem Tod gesehen werden soll. Hat sie dann noch einen raumzeitlich eindeutigen Aufenthaltsort im diesseitigen Universum? Falls ja, kann sie die sie umgebende Welt noch wahrnehmen? Kann sie hören, sehen, riechen? Kann eine solche leibfreie Seele denken, hat sie Erinnerungen? Kann sie auf den Gang der Welt einwirken? Und falls man diese Fragen alle mit Ja beantwortet: wozu benötigt die Seele dann einen Leib? Eine Seele außerhalb ihres Leibes nennt man eine Freiseele ↗

6. Problem: wozu überhaupt ein Körper?


Der Begriff vom Leib-Seele-Problem setzt selbst schon die Annahme von Leib und Seele voraus. Wozu aber, so kann man fragen, soll eine Seele einen Leib benötigen? Könnten Seelen, theologisch gedacht, nicht auch ohne Leib in Beziehung zu Gott sein? Oder könnten sie nicht auch ohne Leib untereinander in eine erfüllende Beziehung treten? Hier zielt die Frage also nicht ab auf das Wie einer möglichen Beziehung von Leib und Seele sondern auf den Nutzen, den Zweck, die Funktion des Leibes für die Seele. Der Versuch einer (spekulativen) Antwort wird hier versucht im Artikel kollaborative Physik ↗

Fußnoten