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Laplacescher Dämon


Philosophie


Basiswissen


Der Laplace-Dämon kennt alle Gesetze der Weltmechanik und er kennt detailliert den jetzigen Zustand der Welt. Damit kann er theoretisch beliebig weit in die Zukunft und beliebig weit in die Vergangenheit blicken. Die Metapher ist ein Klassiker deterministischer Weltsichten.

Das Originalzitat auf Französisch aus dem Jahr 1814


"Une intelligence qui, à un instant donné, connaîtrait toutes les forces dont la nature est animée et la situation respective des êtres qui la composent, si d’ailleurs elle était suffisamment vaste pour soumettre ces données à l’analyse, embrasserait dans la même formule les mouvements des plus grands corps de l’univers et ceux du plus léger atome ; rien ne serait incertain pour elle, et l’avenir, comme le passé, serait présent à ses yeux."[1]

Die Origininalzitat übersetzt ins Deutsche


"Wir müssen also den gegenwärtigen Zustand des Universums als Folge eines früheren Zustandes ansehen und als Ursache des Zustandes, der danach kommt. Eine Intelligenz, die in einem gegebenen Augenblick alle Kräfte kennt, mit denen die Welt begabt ist, und die gegenwärtige Lage der Gebilde, die sie zusammensetzen, und die überdies umfassend genug wäre, diese Kenntnisse der Analyse zu unterwerfen, würde in der gleichen Formel die Bewegungen der größten Himmelskörper und die des leichtesten Atoms einbegreifen. Nichts wäre für sie ungewiss, Zukunft und Vergangenheit lägen klar vor ihren Augen."[2]

Eine Deutung aus dem Jahr 1872


Der Biologe und Mediziner du Bois-Reymond deutete den Dämon im Jahr 1872 wie folgt: "In der That, wie der Astronom nur der Zeit in den Mondgleichungen einen gewissen negativen Werth zu ertheilen braucht, um zu ermitteln, ob, als Perikles nach Epidaurus sich einschiffte, die Sonne für den Piraeeus verfinstert ward, so könnte der von Laplace gedachte Geist durch geeignete Discussion seiner Weltformel uns sagen, wer die Eiserne Maske war oder wie der „President“ zu Grunde ging. Wie der Astronom den Tag vorhersagt, an dem nach Jahren ein Komet aus den Tiefen des Weltraumes am Himmelsgewölbe wieder auftaucht, so läse jener Geist in seinen Gleichungen den Tag, da das griechische Kreuz von der Sophienmoschee blitzen oder da England seine letzte Steinkohle verbrennen wird. Setzte er in der Weltformel t = — ∞, so enthüllte sich ihm der räthselhafte Urzustand der Dinge. Er sähe im unendlichen Raume die Materie bereits entweder bewegt oder ungleich vertheilt, da bei gleicher Vertheilung das labile Gleichgewicht nie gestört worden wäre. Liesse er t im positiven Sinn unbegrenzt wachsen, so erführe er, ob Carnot's Satz erst nach unendlicher oder schon nach endlicher Zeit das Weltall mit eisigem Stillstande bedroht. Solchem Geiste wären die Haare auf unserem Haupte gezählt, und ohne sein Wissen fiele kein Sperling zur Erde. Ein vor- und rückwärts gewandter Prophet, wäre ihm, wie schon d'Alembert in der Einleitung zur Encyklopaedie, Laplace's Gedanken im Keime hegend, es ausdrückte, „das Weltganze nur „eine einzige Thatsache und Eine grosse Wahrheit“[3]

Wer dachte sich den Dämon aus?


Der Name des Mathematikers Pierre Simon Laplace ist aus der Schulmathematik bekannt. Er beschäftigte sich unter anderem mit der Wahrscheinlichkeitsrechnung. Er lebte zur Zeit der Französischen Revolution und Napoleons. Laplace ersann die Metapher eines allwissenden Dämons, möglicherweise aber nicht als anmaßende Gewissheit, sondern als vorsichtiges Gedankenspiel[4]. Siehe auch unter Pierre-Simon Laplace ↗

Was ist Determinismus?


Wenn alles in der Welt nach festen deterministischen Gesetzen abläuft, dann wären Vergangenheit und Zukunft ganz und gar festgelegt und vorherbestimmt. Ein ausreichend schlauer Dämon könnte dann theoretisch den ganzen Weltablauf berechnen. Heute würde man statt von einem Dämon eher von einem Superrechner sprechen. Diese Weltsicht nennt man auch Determinismus ↗

Zu welcher Zeit wirkte der Determinismus?


Im 19ten und 20ten Jahrhundert galt der Determinismus fast als sichere Weltanschauung. Freier Wille, religiöse Vorstellungen und Ideen des Geistartigen gerieten unter Druck. Der Determinismus schlug sich in oft pessimistischer Weise in der Literatur nieder. Beispielhaft genannt sei der Autor H. P. Lovecraft ↗

Ist Determiniertheit dasselbe wie Berechenbarkeit?


Nein. Ein Prozess kann strikt determiniert sein ohne dass man ihn aber abkürzend mit Formeln vorausberechnen kann. Ein - von vielen - Beispielen dafür ist die Entwicklung sogenannter Zellularautomaten. Laplace hat den Unterschiede in seiner Metapher nicht ausgearbeitet. Sehr deutlich herausgearbeitet hat diesen Unterschied der englische Mathematiker Sir Roger Penrose in seinem Buch Computerdenken ↗

Wie sieht man den Laplaceschen Dämon heute?


Aus vielen Gründen sind Zweifel an einem Determinismus und noch mehr an Berechenbarkeit vieler Vorgänge der Welt vollauf berechtigt. Vor allem aus der Physik, die ursprünglich Anlass zur Metapher gab, mehrten sich Probleme mit zentralen Begriffen wie Materie, Kausalität, Objektivität, Berechnbarkeit und Messbarkeit. Moderne fundamentale Naturgesetze haben meist die Form eines Wahrscheinlichkeitsgesetzes[5][6]. Eine Anhaltspunkte, warum die Welt in ihrer jetzigen Form niemals vorausberechenbar sein kann finden sich im Artikel zur Chaostheorie ↗

Was bedeutet der Laplace-Dämon für die Weltgeschichte?


Wäre der Laplace-Dämon eine auf die Wirklichkeit zutreffende Beschreibung, dann wäre unser Freier Wille eine Illusion und die Weltgeschichte ein starr ablaufender Prozess ohne alternative Verläufe. Bemerkenswerterweise wirkte zur Zeit von Laplace auch der deutsche Denker Karl Marx. Marx ging tatsächlich von einem festgelegten gesetzmäßigen Verlauf der Geschichte aus. Demnach strebt die Geschichte Zwangsläufig einem Endzustand des Kommunismus zu. Auch wenn vielleicht die Zwischenschritte durch Menschen verändert werden können, ist der Endzustand doch vorgezeichnet. Die Idee, dass vielleicht im Kleinen ein Freier Wille wirken könne, doch das die Welt als Ganzes einem vorgezeichneten Lauf folgt bezeichnet man vor allem in den Geschichtswissenschaften als Weltprozess ↗

Fußnoten