Intelligenzquotient
Messung
Definition
Der Intelligenzquotient, kurz IQ, wird mit Hilfe standardisierter Tests durch Psychologen bestimmt. Tests können über mehrere Stunden hinweg dauern und eine Vielzahl von Fähigkeiten überprüfen. Als Endresultat werden aber alle Teilegebnisse zu einer einzelnen Zahl, dem IQ-Wert verdichtet.
Der IQ ist normalverteilt
Führt man IQ-Tests mit ausreichend vielen Personen durch, wird man meist eine mehr oder minder gute Normalverteilung im statistischen Sinn erkennen. Trägt man für jeden möglichen IQ-Wert die Anzahl der dazugehörigen Personen als Säulenhöhe auf, entsteht eine Glockenkurve. Mathematisch kann man diese durch eine Gauß-Funktion annähern. Der IQ-Wert 100 entspricht dann dem Erwartungswert oder dem arithmeischen Mittel. 68 % aller Personen liegen dann in einem Bereich von 85 bis 115 % dieses Wertes. Siehe auch Normalverteilung ↗
Was ist der Flynn-Effekt?
Über das 20te Jahrhundert hinweg beobachtete man in Industrienationen einen beständigen des IQ. Dieser Effekt wird heute Flynn-Effekt genannt[1]. Es gibt viele Erklärungsideen, von denen sich aber bisher keine durchsetzen konnte. Mehr unter Flynn-Effekt ↗
Was ist der negative Flynn-Effekt?
Für die Zeit ab etwa dem Jahr 2000 häufen sich Indizien, dass der Intelligenzquotient in westlich geprägten Industrienationen rückläufig sein könnte. Woher der Effekt stammen könnte ist unklar. Diskutiert werden zum Beispiel ein höherer Anteil älterer Leute, der Einfluss des Internets, Bewegungsmangel oder ungesunde Ernährung. Lies mehr unter negativer Flynn-Effekt ↗
Ist Intelligenz erblich?
Ja, aber nur statistisch und die Umwelt spielt ebenfalls eine wichtige Rolle: Zwillingsforschungen zeigen, dass es einen klaren statistischen Zusammenhäng zwischem dem gemessenen Intelligenzquotienten und den genetischen Erbanlagen gibt. Eineiige Zwillige ähneln sich in ihre Intelligenzquotienten mehr als zweieiige Zwillinge, auch dann, wenn sie in sehr unterschiedlichen Umgebungen aufwachsen. Gleichzeitig haben Studien aber auch gezeigt, dass sich der IQ von eineiigen Zwillingen umso stärker unterscheidet, je unterschiedlicher das Milieu ist, in dem sie aufwachsen (z. B. Stadt oder Land)[2]. Man kann also sagen, dass der IQ erblich beeinflusst ist, aber auch die Umgebung, das soziale Milieu, einen starken Einfluss haben kann. Umstritten ist die Frage, ob es einen genetischen Zusammenhang zwischen dem IQ und einer - irgendwie definierten - Rasse gibt[13]. Siehe auch Zwillingsforschung ↗
IQ und Moral: Intelligenz-"Bestien"
Sind intelligente Menschen auch bessere Menschen? Ganz sicher ausschließen kann man a) dass Menschen mit wenig IQ zwangsläufig amoralisch und böse sind. Das ist ganz sicher nicht der Fall. Dazu genügt ein einfacher Blick in den Kreis der eigenen Bekannten- und Verwandten. Und auch ausschließen kann man, dass b) Menschen mit einem hohen IQ zwangsläufig moralisch einwandfrei handeln. Das klassische Beispiel hier lieferten die Nürnberberg Prozesse vom 20. November 1945 bis zum 14. April 1949. Dort kam ein internationales Gericht zusammen, um gegen die Hauptkriegsverbrecher des deutschen Dritten Reiches zu urteilen. Dabei wurden die Angeklagten auch einem psychologischen Intelligenztest unterzogen. Für einen engeren Kreis von 21 zentralen Figuren kam dabei heraus, dass sie alle überdurchschnittlich und zu einem großen Teil auch weit überdurchschnittlich intelligenzt waren[4]. Hermann Göring etwa, preußischer Ministerpräsident und später Chef der Luftwaffe, galt als charmant, sprachbegabt und mit einem gemessenen IQ von 138 als hoch intelligent. Gleichzeitig organisierte er den frühen Terrorstaat in der Zeit seit 1933[5] und später ein Lagerwesen zur Ausbeutung von Zwangsarbeitern für die deutsche und österreichische Wirtschaft[6]. Solche biographischen Beispiele zeigen, dass es keine zuverlässige Verbindung von IQ und einer bestimmten Moral gibt. Ob es aber eine Tendenz gibt, dass Menschen mit höherem IQ im statistischen Mittel auch eine besondere Moral bevorzugen, scheint bisher nicht weiter untersucht zu sein[7]. Siehe auch Moral und Wissenschaft ↗
IQ und Moral: Statistik mit Kindern
Schwierige moralische Entscheidungen setzen ein Mindestmaß an Denkfähigkeit voraus, erschöpfen sich aber nicht darin, sondern benötigen auch emotionale Fähigkeiten. Ein Problem aber ist es, Moral zu messen[10]. Zwei gängige Test dazu behandeln vor allem moralische Dilemmata[9], weniger aber alltagsnahe Situtionen, in denen Moral gegen persönliche Eigeninteressen abgewogen werden muss. In einer Studie mit 62 Kindern aus Grundschulen und 67 Kindern[8], die von ihren Lehrern als begabt bezeichnet wurden untersuchten die Autoren den Zusammenhang zwischen Intelligenz und moralischem Urteilen bei Kindern. Für die Studien wurden den Kindern vier Bildergeschichten gezeigt. Es ging um ein verweigertes Teilen mit jemandem in Not, das Klauen von Süßigkeiten, das bösartige Verstecken fremden Eigentums und um Hänseln. Die Kinder wurden dann gefragt, a) ob das OK war, was da passierte, b) warum das so passiert ist, c) wie sie sich selbst als Opfer gefühlt hätten, d) wie sie sich als Täter gefühlt hätten. Die Antworten wurden dann verschiedenen Kategorien zugeordnet: 1) moralische Begründungen wie etwa, dass es unfair ist, ungerechtfertigt die ganze Belohnung zu bekommen, 2), Begründungen mit Sanktionen und Autoritäten, etwa dass man Ärger mit dem Lehrer bekommt, wenn man erwischt wird, c) hedonistische Begründungen wie etwa, dass ein Diebstahl OK war weil man gerne Süßigkeiten isst, und 4) unegründete Antworten der Art, dass jemand etwas tat, weil er es tat oder dass etwas nicht OK ist, weil es nicht OK ist. Das Ergebns kann überraschen: für die Kinder im untersuchten Altersbereich von etwa 6 bis 9 Jahren, gab es keine statistisch greifbare Verbindung zwischen der Intelligenz und dem moralischen Urteilen[11].
Fußnoten
- [1] Flynn, James R. (2009). What Is Intelligence: Beyond the Flynn Effect (expanded paperback ed.). Cambridge: Cambridge University Press. pp. 1–2. ISBN 978-0-521-74147-7.
- [2] Hermann Rosemann: Intelligenztheorien. Forschungsergebnisse zum Anlage-Umwelt-Problem im kritischen Überblick. Hrsg.: Wolfgang Müller. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1979, ISBN 3-499-17254-2.
- [3] Für den IQ liegt die Standardabweichung meist im Bereich von 15 Punkten. Da der IQ meist normalverteilt ist, kann man dann auch sagen, dass rund 68 % der Menschen im Bereich von 85 bis 115 Punkten erreichen (Ein-Sigma-Regel). In: R. R. Valencia, L. A. Suzuki: Intelligence Testing and Minority Students: Foundations, Performance Factors, and Assessment Issues. Sage, New York 2000. Siehe auch Standardabweichung ↗
- [4] In den Nürnberger Prozessen kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurden ranghohe Funktionäre des Dritten Reiches einem psychologischen Intelligenztest unterzogen. Sie erreichten dabei zum Teil weit überdurchschnittlich hohe Werte: Hjalmar Schacht 143, Arthur Seyß-Inquart 141, Hermann Göring 138, Karl Dönitz 138, Franz von Papen 134, Erich Raeder 134, Hans Frank 130, Hans Fritzsche 130, Baldur von Schirach 130, Joachim von Ribbentrop 129, Wilhelm Keitel 129, Albert Speer 128, Alfred Jodl 127, Alfred Rosenberg 127, Konstantin von Neurath 125, Walther Funk 124, Wilhelm Frick 124, Rudolf Heß 120, Fritz Sauckel 118, Ernst Kaltenbrunner 113, Julius Streicher 106. In: Dieter Schenk: Hans Frank. Hitlers Kronjurist und Generalgouverneur. S. Fischer, Frankfurt am Main 2006, ISBN 3-10-073562-5, S. 379. Siehe auch Moral und Wissenschaft ↗
- [5] David Janssen: Die Polizei als Instrument des NS-Regimes? Ein Überblick der Chronologie und der wichtigsten Akteure Der Zeitraum 1933 bis 1945.
- [6] Oliver Rathkolb: NS-Zwangsarbeit: Der Standort Linz der »Reichswerke Hermann Göring AG« Berlin, 1938-1945. Band 1: Zwangsarbeit - Sklavenarbeit: Politik-, sozial- und wirtschaftshistorische Studien. Band 2: Zwangsarbeit - Sklavenarbeit: (Auto-) Biographische Einsichten. Böhlau Verlag Wien. 2001. Insgesamt 988 Seiten. ISBN: 978-3-205-99417-6.
- [7] Bücher, die die Worte Moral und Intelligenz verbinden, zielen oft auf einen praktischen Zweck ab, weniger auf wissenschaftliche Aufklärung (z. B. Robert Coles: Moralische Intelligenz oder Kinder brauchen Werte. Rowohlt, Berlin; 1. Aufl. 1998. ISBN: 978-3871343353. Oder: Doug Lennick und Fred Kiel: Moral Intelligence: Wie Sie mit Werten und Prinzipien Ihren Geschäftserfolg steigern. REDLINE. 2006. ISBN: 978-3636013675.)
- [8] Ein wissenschaftlicher Artikel zitiert verschiedene Studien, denen zufolge begabte (gifted) Kinder und Jugendliche in moralischen Tests höhere Werte erzielen als gleichaltrige weniger begabte Personen. Es wird aber angemahnt, die Test kritisch gesehen werden sollten: "In many studies, giftedness is not precisely defined and intelligence is in many cases not even measured at all. Further research is needed which systematically measures intelligence as well as moral development, and is not merely based on samples of pre-selected students." Sowie auch: "Moral cognition is only one dimension of morality. Most developmental researchers would agree that moral development includes both – cognitive and emotional aspects". Tatsächlich fanden die Autoren dieser Studie in eigenen Versuchen keinen Zusammenhang zwischen dem IQ und dem moralischen Urteil von Kindern im Alter von 6 bis fast 9 Jahren. In: Hanna M. Beißert, Marcus Hasselhorn: Individual Differences in Moral Development: Does Intelligence Really Affect Children’s Moral Reasoning and Moral Emotions? In: Front Psychol. Published online 2016 Dec 20.DOI: 10.3389/fpsyg.2016.01961
- [9] Die zwei gängigen Tests in der englischsprachigen Welt sind das "The Moral Judgment Interview" und der "Defining Issues Test." In beiden Tests müssen die Probanden moralische Dilemmata betrachten. In: Dawn R. Elm and James Weber: Measuring Moral Judgment: The Moral Judgment Interview or the Defining Issues Test? In: Journal of Business Ethics. Vol. 13, No. 5 (May, 1994), pp. 341-355 (15 Seiten). Springer.
- [10] Das Messen von Dingen wie Moral oder Intelligenz nennt man in der Psychologie und den Sozialwissenschaften Operationalisieren ↗
- [11] In der Diskussussion am Ende der Fachveröffentlichung schreiben die Autoren der Studie unmissverständlich: "We found no significant correlations between moral development and intelligence in any of the stories. Neither for moral cognitions, nor for moral emotions, did we find any evidence for intelligence-related differences […] Neither did we find any intelligence-related differences in moral reasoning about act evaluations. Therefore, our findings indicate that for children aged between 6 years; 4 months and 8 years; 10 months, inductive reasoning competencies, i.e., intelligence, cannot explain differences in moral development." In: Beißert, Marcus Hasselhorn: Individual Differences in Moral Development: Does Intelligence Really Affect Children’s Moral Reasoning and Moral Emotions? In: Front Psychol. Published online 2016 Dec 20.DOI: 10.3389/fpsyg.2016.01961
- [12] Es scheint keine Korrelation zwischen dem Intelligenzquotienten und einer Extra- oder Introversion zu geben. In: D. H. Saklofske, D. D. Kostura, Extraversion-introversion and intelligence, Personality and Individual Differences. In: Volume 11, Issue 6. 1990. Dort die Seiten 547 bis 551. ISSN 0191-8869. DOI: https://doi.org/10.1016/0191-8869(90)90036-Q.
- [13] Gruppen von Menschen aus Ostasien haben im Durchschnitt einen höheren Intelligenzquotienten als Gruppen von Weissen: "Around the world, the average IQ for East Asians centers around 106; that for Whites, about 100". Die Idee, dass es einen Zusammenhang zwischen "Rassen" und IQ gibt, wird ausführlich diskutiert in: J. Philippe Rushton, Arthur R. Jensen: THIRTY YEARS OF RESEARCH ON RACE DIFFERENCES IN COGNITIVE ABILITY. In: Psychology, Public Policy, and Law. 2005, Vol. 11, No. 2, 235–294. The American Psychological Association. 2005. DOI: 10.1037/1076-8971.11.2.235