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Homo degeneratus


Dystopie


Grundidee


Einen zurückentwickelten Menschen oder einen Menschen weit unter seinen Möglichkeiten kann man als biologischen Gattungs- oder Artbegriff als Homo degeneratus bezeichnen. Hier werden verschiedene Konzepte dazu kurz vorgestellt.

Der Homo degeneratus integratus


Der Fabrikarbeiter wird zum dumpfen Teil der Fabrik[15], der Manger zu einem Rädchen im Räderwerk der bürokratischen Verwaltung, der Soldat zu einem reflexhaften Befehlsempfänger: hier ist die gemeinsame Idee, dass die Degeneration der Preis für die Integration in einer größeres Gebilde ist. Das kann zum Beispiel eine Glaubensgemeinschaft (Echoraum), eine Firma oder auch eine Gesellschaft sein. Der Effekt kann als wünschenswert (Teil eines Teams) oder auch als abstoßend (hirnloser Befehlsempfänger) gewertet werden. Siehe mehr unter Homo degeneratus integratus ↗

Spekulation: die soziointegrative Degeneration


Gerade dadurch, dass einzelne Menschen ihre Fähigkeiten und Potenziale zurückentwickeln, wird das Kollektiv aus diesen Menschen immer leistungsfähiger. Zugespitzt gesagt: je dümmer die einzelnen, desto schlauer das Ganze. Das Konzept geht auf den polnischen Futurologen und Schriftsteller Stanislaw Lem zurück[4][5], der es am Beispiel von Scharmintelligenz für das Milität beispielhaft erläuterte soziointegrative Degeneration (Stanislaw Lem) ↗

Soziologie: der eindimensionale Mensch


In den 1960er Jahren schlug eine Analyse der modernen Industriegesellschaften große Wellen: der Soziologie Herbert Marcuse schilderte detailliert, wie der moderne Mensch zunehmend nur in phantasielosen Fakten, Gegebenheiten und Sachzwängen denkt. Die Dimension des Träumens, der Utopie, des Religiösen geht verloren. Das Ergebnis dieser Degeneration ist der eindimensionale Mensch ↗

Soziologie: der Mensch im sozialen Feld


Der französische Soziologie Pierre Bourdieu prägte den Begriff des sozialen Feldes[6][7]: je nach Umfeld verhalten sich Menschen sehr unterschiedlich, sie befolgen die Regeln des jeweiligen Feldes. In der Juristerei gelten andere Regeln für berufliches Fortkommen wie in der Kunst oder dem Maschinenbau. Degeneriert ist der Mensch im sozialen Feld insofern, als er seine Potenziale nur so weit entfaltet, wie das Feld es honoriert. Er lässt sich bereitwillig von außen in seinen Möglichkeiten beschneiden. Siehe mehr dazu unter soziales Feld ↗

Informatik: der Agent als Lokaloid


In der Informatik und der Komplexitätsforschung kann man Insekten, Roboter, Computerprogramme oder auch Menschen zusammenfassend als Agenten abstrahieren. Je nach Art der "Verschaltung", der sozialen Regeln, werden sie zu einem Teil einer kollektiven Intelligenz, eines verteilten Systems. Die Stärke des Systems ergibt sich nicht aus der Stärke eines einzelnen Agenten, sondern aus dem geschickten Zusammenspiel aller. Der einzelne Agent handelt nur begrenzt in seiner näheren Umwelt, er ist ein Lokaloid ↗

Science Fiction: der Homo degeneratus als Sozialstaatparasit


Im Jahr 2003 erschien ein satirischer Roman des neuseeländischen Autoren Bob Jones. Darin schildert er einen degenertierten Menschentypen: in der fünften Generation abhängig vom Sozialstaat hat der Homo degeneratus das Lesen verlernt und ist in seiner gesamten Erscheinung abstoßend (slobbering, tattooed, illiterate, pig-ignorant, prolific breeding, drug-infested, alcoholic, welfare dependent, murdering and robbing, barbaric filth). Ein Zeitungsmogul entdeckt darin einen neuen Kunden. Er entwickelt eine Zeitung - True Facts - mit primitivsten Inhalten. Diese Zeitung wird unter den Degenerati ein großer Erfolg[1]. Die Idee, dass die Annehmlichkeiten moderner Sozial- und Fürsorgestaaten zu einer Degeneration der Nutznießer führt, wurde spätestens im Jahr 1786 klar formuliert[8] und später oft wiederholt[9][10][11][12][13].

Homo degeneratus als urbanes Zivilisationsprodukt


Im Jahr 2013 veröffentlichte der russische Biologe und Autor Andrej Poleev (geboren 1965) einen Blog-ähnlichen Artikel, in dem er polemisch einen durch die urbane Zivilisation degenerierten Menschen skizzierte. Diesen Menschentypen nannte er Homo degeneratus[2]. Ähnlich düster sieht der Mediziner Kazem Sadegh-Zadeh die Zukunft des Menschen als Cybersaprobiont ↗

Fußnoten


[12] Konrad Lorenz: Die acht Todsünden der zivilisierten Menschheit. München 1973. Dort heißt es auf Seite 64: "Ein Mensch, der durch das Ausbleiben der Reifung sozialer Verhaltensnormen in einem infantilen Zustand verbleibt, wird notwendigerweise zum Parasiten der Gesellschaft. Er erwartet als selbstverständlich die Fürsorge der Erwachsenen weiter zu genießen, die nur dem Kinde zusteht. […] Wenn die fortschreitende Infantilisierung und wachsende Jugend-Kriminalität des Zivilisationsmenschen tatsächlich, wie ich befürchte, auf genetischen Verfallserscheinungen beruht, so sind wir in schwerster Gefahr."