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Gruppenselektion


Biologie


Basiswissen


In einer Gruppe verhalten sich einzelne Individuen so, dass der evolutionäre Erfolg der gesamten Gruppe erhöht wird. Sie tun das auch dann, wenn sie als Individuum gesehen einen evolutionären Nachteil davon haben. Im Extremfall opfert sich ein Individuum ohne Nachkommen hinterlassen zu haben für ein nicht-verwandetes Individuum der eigenen Gruppe[9]. Wenn diese Strategie in einer Gruppe über evolutionär lange Zeiträume bestand hätte, spräche man von einer Gruppenselektion. Das ist hier näher erklärt.

1871: Historische Ursprünge des Konzeptes


Im Jahr 1871 schreibt Charles Darwin: „Es lässt sich nicht zweifeln, dass ein Stamm, welcher viele Glieder umfasst, die in einem hohen Grade den Geist des Patriotismus, der Treue, des Gehorsams, Muths und der Sympathie besitzen und daher stets bereit sind, einander zu helfen und sich für das allgemeine Beste zu opfern, über die meisten andern Stämme den Sieg davontragen wird, und dies würde natürliche Zuchtwahl sein.“

1896: Gruppenselektion in der sozialen Wirklichkeit


Der US-amerikanische Ökonom Thorstein Veblen forderte, dass evolutionäre Prinzipien auch zum Verständnis des Wirtschaftslebens genutzt werden. Im Jahr 1896 schrieb er, dass „der Kampf ums Überleben, angewandt auf soziale Entwicklungen, eher ein Kampf zwischen Gruppen und Institutionen als ein Wettkampf zwischen Individuen der Gruppe“ ist. (the struggle for existence, as applied with the field of social evolution, is a struggle between groups and institutions rather than a competition … between the individuals of the group.[4]) Und im Jahr 2018 deuten Evolutionsbiologen das Phänomen eines beharrlich erfolgreichen Populismus ähnlich: "was interessiert sind Konflikte um begrenzte Ressourcen, die Verteidiung der eigenen Gruppe, die Abgrenzung gegenüber fremden Gruppen und die Regulierung der Fortpflanzung.[5]" Als politisches Konzept ausgearbeitet wurde die Idee eines ewigen Wettkampfes sozialer Gruppen durch den Sozialdarwinismus ↗

Ökonomie als Gruppenselektion


Charles Darwins (1809 bis 1882) Ideen zur Evolutionstheorie waren stark durch die ökonomischen Ideen von Robert Malthus (1766 bis 1834) beeinflusst. Malthus hatte argumentiert, dass der Kampf um begrenzte Ressourcen prägend für die Entwicklung von menschlichen Gesellschaften sei[6]. Der österreichische Ökonom Joseph Schumpeter (1883 bis 1950) sah dann im Absterben von Firmen und Branchen eine Art darwinistischer Selektion, die er "schöpferische Zerstörung" nannte[7]. Fasst man Unternehmen als Gruppen von Menschen auf, so konkurrieren auch hier Gruppen gegeneinanander. Und zumindest in Marktwirtschafen greifen mehr oder minder darwinistische Prinzipien. Dieser Gedanke ist die Kernidee des Wissenschaftsgebietes evolutionäre Ökonomie ↗

Altruismus: das Grundproblem der Gruppenselektion


Bahnreisende kennen das Problem: hält ein Zug an einem größeren Bahnhof, bilden sich schnell Menschentrauben um die Türen der Bahnwaggons. Jeder einzelne möchte möglichst schnell in den Zug gelangen, zum Beispiel um einen freien Sitzplatz zu ergattern. Durch die Menschentrauben aber können ankommende Reisende schlechter aussteigen. Es bilden sich Stausituationen, in den Gängen kommt es zu Verstopfungen. Insgesamt dauert der gesamte Einstiegsprozess länger, als würden die zusteigenden Fahrgäste mit kleinen Zwischenräume nach und nach in den Zug einsteigen. Aber kein einzelner zusteigender Fahrgast hätte einen Vorteil davon, wenn er sich im Sinne des Gesamtwohls hinten anstellt und nicht drängelt, wenn es gleichzeitig noch viele Drängler gibt. Der Ehrliche ist der Dumme: wer beim Einsteigen in Zügen rücksichtsvoll ist, wird in den Zügen fast immer die schlechtesten Plätze erhalten. Übertragen auf eine evolutive Situation wäre die Folge, dass gemeinwohlorientierte Individuen weniger Nachkommen in ein reproduktives Alter bringen können als aggressive Egoisten. Damit würden sich aber die Gene für das Gemeinwohl mit der Zeit von alleine durch negative Selektion aus dem Genpool beseitigen. Gemeinwohlorientiertes Verhalten wäre evolutionär gesehen keine stabile Strategie. Eng mit diesem Problem verwandt ist die Entstehung von Altruismus ↗

Fußnoten