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Bernhardi-Barriere


Sozialdarwinismus


Basiswissen


Als Bernhardi-Barriere ist hier die (sozial)darwinistische Urangst eines Endes evolutionären Fortschrittes infolge einer fehlenden Auslese der Tüchtigsten bezeichnet. Das ist hier anhand eines Originalzitats und einiger Beispiele näher erklärt - und kritisch hinterfragt.

Prämisse: der Kampf als Antrieb des Fortschritts


Friedrich von Bernhardi (1849 bis 1930) war ein deutscher Militärhistoriker. Kurz vor Ausbruch des ersten Weltkrieges veröffentichte er ein viel beachtetes Buch über Deutschland und den nächsten Krieg[2]. Darin erweckt Bernhardi beim Leser zunächst das Bild einer irgendwie gearteten Höherentwicklung als Folge einer Auslese der Tüchtigsten (was immer das meint). Dieses Bild ist gleichsam die Prämisse für seinen darauffolgenden Schluss: „Im inngergesellschaftlichen Kampf wird die Gesellschaftsordnung sich als die lebensfähigste erweisen, in der die tüchtigsten sich als die lebensfähigsten erweisen, in der die tüchtigsten Persönlichkeiten zum größten Einfluß gelangen. Im außergesellschaftlichen Kampf, im Krieg, wird das Volk siegen, das die größte körperliche, geistige moralische, materielle und staatliche Kraft in die Wagschale zu werfen hat und daher am wehrhaftesten ist. Ihm wird der Krieg günstige Lebensbedingungen, erweiterte Entwicklungsmöglichkeit, gesteigerten Einfluss gewähren und damit dem menschlichen Fortschritt dienlich sein; denn es ist klar, daß die Faktoren, die die Überlegenheit im Kriege gewähren, nämlich vor allem die geistigen und sittlichen, zugleich die sind, die überhaupt eine fortschrittliche Entwicklung ermöglichen. Eben dadurch, daß sie die Elemente des Fortschritts in sich bergen, verleihen sie den Sieg.“ Bernardi befand sich mit dieser Sicht ganz im Geiste seiner Zeit, die stark beeinflusst war vom sogenannten Sozialdarwinismus ↗

(Fehl)Schluss: ohne Kampf kein Fortschritt


Im folgenden Satz vollzieht Bernhardi dann einen (logisch nicht zwingenden) Umkehrschluss, dass nämlich ohne Kampf eine Höherentwicklung nicht möglich sei: „Ohne den Krieg aber würden nur allzuleicht minderwertige oder verkommene Rassen die gesunden keimkräftigen Elemente überwuchern, und ein allgemeiner Niedergang müßte die Folge sein „Der Krieg“, sagt U. W. v. Schlegel, „ist notwendig wie der Kampf der Elemente in der Natur.“

Definition der Bernhardi-Barriere


Als Bernhardi-Barriere wird hier ein irgendwie gearterter Niedergang bezeichnet, der sich als Folge einer ausbleibenden darwinistischen Evolution einstellt[10] oder einer Missachtung der evolutinären Gesetzmäßigkeiten ganz allgemein[13]. Es spielt für diese Definition keine Rolle, ob die Idee der darwinistischen Evolution als notwendige Voraussetzung einer Höherentwicklung zutrifft oder nicht. Die Bernhardi-Barriere bezeichnet hier die rein modellhafte Annahme, dass es so sein könnte. Man kann mindestens zwei Wege hin zu einer Bernhardi-Barriere unterscheiden.

Bernhardi-Barriere erster Art: Friedensschluss


Treffen konkurrierende Individuen oder Staaten eine Übereinkunft, fortan nicht mehr gegeneinander zu konkurrieren, insbesondere sich knappe Ressourcen nicht gegenseitig streitig zu machen, so schalten sie damit eine Selektion im Sinne der Evolution wirksam aus. Beispiele dafür sind zum Beispiel geheime Preisabsprachen von Unternehmen oder verlässliche Nichtangriffspakte zwischen Nationen. Siehe auch Selektion (Biologie) ↗

Bernhardi-Barriere zweiter Art: Monopole


Gewinnt ein Staat oder ein Unternehmen die unanfechtbare Vorrangstellung innerhalb der Gruppe ehemaliger Konkurrenten, ist damit eine Selektion in Darwins Sinn ebenfalls wirkungsvoll ausgeschaltet. Als geschichtliches Beispiel wird oft die Pax Romana zitiert, Jahrhunderte des Friedenes innerhalb eines imperial-übermächtigen römischen Reiches. Im Wirtschaftsleben entspricht dem die Monopolstellung eines Anbieters, der keine Konkurrenz zu befürchten hat. Der Monopolist muss sich infolge keine Mühe mehr geben, gute Ware oder gute Dienstleistungen anzubieten. Es folgt, ganz im Sinne Bernhardis, ein Niedergang der Qualität. Als Beispiele dafür werden oft die ehemaligen Staatsmonopole der BRD zitiert, etwa die ehemalige Bundespost oder die ehemalige Bundesbahn. Siehe auch Marktmonopol ↗

Mögliche Beispiele für Bernhardi-Barrieren als ausgesetzte Evolution



Der Volkskörper als gängige Metapher (drittes Reich)


Die Idee, dass ein Ausbleiben von Kampf und von Selektion im Sinne Darwins zu einer Rückentwicklung führen muss, wurde oft mit Hilfe der Metapher vom Volkskörper ausgedrückt. Dazu steht hier ein Zitat des berühmten österreichischen Verhaltensbiologen Konrad Lorenz (1903 bis 1989): „Versagt diese Auslese, mißlingt die Ausmerzung der mit Ausfällen behafteten Elemente, so durchdringen diese den Volkskörper in biologisch ganz analoger Weise und aus ebenso analogen Ursachen wie die Zellen einer bösartigen Geschwulst […] Sollte es mutationsbegünstigende Faktoren geben, so läge in ihrem Erkennen und Ausschalten die wichtigste Aufgabe des Rassepflegers überhaupt […] Sollte sich dagegen herausstellen, daß unter den Bedingungen der Domestikation keine Häufung von Mutationen stattfindet, sondern nur der Wegfall der natürlichen Auslese die Vergrößerung der Zahl vorhandener Mutanten und die Unausgeglichenheit der Stämme verschuldet, so müßte die Rassenpflege dennoch auf eine noch schärfere Ausmerzung ethisch Minderwertiger bedacht sein, als sie es heute schon ist.[4]“ Siehe dazu auch den Artikel zum Volkskörper ↗

Fürsorge und Toleranz als Evolutionsbremse


Dass Fürsorge und Toleranz zu einem Katalysator von Verfall und Degeneration werden ist eine alte Angst[6][7][8]. Was die Verhaltensbiologie in der Zeit des Nationalsozialusmus in der Worten der Rassenideologie ausdrückte, formulierte er später in den 1960er Jahren angepasst an die Sprache der Nachkriegszeit: „Das verderbliche Wachstum bösartiger Tumoren beruht, wie schon angedeutet, darauf, daß gewisse Abwehrmaßnahmen versagen oder von den Tumorzellen unwirksam gemacht werden, mittels deren der Körper sich sonst gegen das Auftreten 'asozialer‘ Zellen schützt. Nur wenn diese vom umgebenden Gewebe als seinesgleichen behandelt und ernährt werden, kann es zu dem tödlichen infiltrativen Wachstum der Geschwulst kommen. Die schon besprochene Analogie lässt sich hier weiterführen. Ein Mensch, der durch das Ausbleiben der Reifung sozialer Verhaltensnormen in einem infantilen Zustand verbleibt, wird notwendigerweise zum Parasiten der Gesellschaft. Er erwartet als selbstverständlich die Fürsorge der Erwachsenen weiter zu genießen, die nur dem Kinde zusteht. […] Wenn die fortschreitende Infantilisierung und wachsende Jugend-Kriminalität des Zivilisationsmenschen tatsächlich, wie ich befürchte, auf genetischen Verfallserscheinungen beruht, so sind wir in schwerster Gefahr.[5]

Ein Gegenargument: der Krieg als Evolutionsbremse


Bernhardi (1849 bis 1930) argumentierte im Jahr 1913, dass Wettkampf und speziell auch Krieg als Motor des Fortschritts wirken. Genau gegenteilig argumentierte der US-Amerikaner David Starr Jordan (1851 bis 1931). Im Krieg, so Jordan, werden die Tüchtigen auf dem Schlachtfeld fallen und das genetisch minderwertige Material der zu Hause geblieben werde sich anteilig vermehren. Jordan bezeichnete diesen Effekt als Dysgenik ↗

Kritik an der Idee einer Bernhardi-Barriere


Sozialdarwinisten versuchen zu argumentieren, dass ohne Kampf und "Ausmerzung des Minderwertigen" kein Fortschritt möglich ist und dass der ewige Kampf ein von der Natur aus vorgegebenes Lebensprinzip sei[2][3]. Das Argument kann zwar letzendlich faktisch zutreffen, ist aber keineswegs logisch zwingend. Mindestens drei Einwände lassen sich anführen. a) Das Argument ist zunächst formallogisch nicht zwingend und ein logischer Trugschluss der Art „wenn es regnet wachsen Pflanzen gut, also: ohne Regen wachsen Pflanzen nicht“. Tatsächlich wachsen viele Pflanzen bei Regen gut (siehe die Tropen), aber es gibt auch Pflanzen, die ohne Regen auskommen, etwa in Gewässern oder Wüsten. b) Eng verwandt mit dem vorangegangenen Einwand ist die Vorstellung von einem Fortschritt ohne darwinistischen Antrieb. So gibt es keinen logischen Grund, warum nicht irgendwie geistartige Prinzipien die Lebensregungen von Wesen durchdringen und hin zu einer friedfertigen Höherentwicklung lenken sollten. Und drittens ist zu hinterfragen, woran man überhaupt eine Höherentwicklung dingfest machen will. Hoch und niedrig entwickelt sind schwer messbar zu machen. In der realen darwinistisch-biologischen Evolution entwickelte sich das Faultier aus ehemals agilen wuseligen Ursäugetieren. Ist das Faultier dann die höhere Lebensform (regressive Evolution)? Im Sinne der Statistik bräuchte man hier eine sogenannte Ordinalskala für einen Vergleich der Entwicklungshöhe. Diese Gedanken sind weiter ausgeführt im Artikel zur Höherentwicklung ↗

Fußnoten